„Die Auswahl“ von Brigitte Hermann
ISBN 978-3-527-50864-8Folgend den technologischen, wirtschaftlichen wie auch gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen unserer Zeit erlebt auch der Arbeitsmarkt und seine Akteur:innen hautnah eine Auseinandersetzung mit deren Effekten. Transdisziplinäre, intergenerationale, internationale und kurzweilige Projektteams, permanent präsente Flexibilität und Digitalisierung der Arbeits- und Lebensräume sind nur wenige davon und ihre Auswirkungen weder durchgehend erforscht noch den AkteurInnen annähernd bekannt. Diesen Umstand will Brigitte Herrmann mit ihrem Buch „Die Auswahl “ ein Stück weit verändern und die Potenziale aller Beteiligten noch mehr ins Licht rücken. Dazu greift die langjährige Talentsucherin und Beraterin auf ihre Expertise als auch ihre Zuversicht in die Wirksamkeit des Individuums zurück, die von diversen Studien zu individuellen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierewegen flankiert werden. Gewissenhaft und fokussiert schwenkt die Autorin ihren Blick auf die Herausforderungen der Arbeitswelt hinsichtlich der Personalauswahl und der Nachhaltigkeit dieser. Im Ergebnis finden Sie in ihrem Buch - ob als ein/e PersonalentscheiderIn, ein/e KandidatIn oder ein/e Business Coach im Auswahlverfahren aktiv - etliche Anregungen zu:
# eigener Haltung und Methodik der unternehmerischen Auswahl von KandidatInnen, die Ihr Unternehmen auch künftig tragen können werden,
# stärkenorientierter Positionierung auf dem Arbeitnehmermarkt oder auch
# einem Perspektivenwechsel und den Blick in den Alltag der PersonalerInnen.
Inhaltlich betrachtet ...
Mal aus meinr Perspektive (es handelt sich hier um ein Beispiel der Rezensentin) Stellen Sie sich vor, in wenigen Minuten ein Gespräch mit zwei KandidatInnen für eine Führungsposition in Ihrem Unternehmen durchführen zu müssen. Lassen Sie uns annehmen, dass Sie keine Fotografien von den beiden Personen erhalten haben und aus den Bewerbungsunterlagen dieser eine ähnliche Kompetenz hervorgeht. Nun betreten Sie den Besprechungsraum und begrüßen den ersten Kandidaten: ein junger Mann, helles und gut frisiertes Haar, grauer Anzug und strahlendes Gesicht, durch klare und tiefe Töne seiner Begrüßung unterstrichen. Sie führen das Gespräch durch, sind vielleicht von seinem Selbstbewusstsein und all seiner internationalen Erfahrung angetan (?) Ein paar Minuten nach dem ersten Gespräch erscheint die zweite Kandidatin: eine etwas ältere Frau, im Kopftuch und etwas korpulent, ein langes Kleid und leise Stimme erklimmen aus ihrem freundlichen Gesicht. Das Gespräch verläuft ..., ja wie? Wie offen sind Sie noch, wie neugierig die Potenziale dieser Person zu erkunden? Wer hat nun bessere Chancen aus Ihrer Perspektive, diese Position in Ihrem Unternehmen zu übernehmen?
Absichtlich plakativ, wenn nicht sogar heftig, oder? Dabei könnten wir das Bild bezogen auf das soziale Geschlecht, das Gewicht, die Kleidung oder die Lebenserfahrung, die Nation, die Religion oder auch die sexuelle Vorliebe beliebig verändern. Fest steht, dass wir alle mit Bildern ausgestattet sind, die unsere Wahrnehmung stark (positiv wie negativ) beeinflussen und auch unsere GesprächspartnerInnen z.B. um ihre Einstellungschancen berauben. Und zwar ohne dass wir stets darüber im Klaren sind. Um dem entgegenzusteuern führt Brigitte Herrmann am Anfang ihres Buches eine Analyse des Rekrutierungsmarktes (Teil I) in Deutschland durch. Die dort gefundenen Engpässe, unter anderem eben in Form von stereotypen Denken und Handeln (sowohl intern wie nach außen), von unklarer Kommunikation, Ausschreibungen wie Zuständigkeiten, als auch Verschlossenheit gegenüber Diversität und Quereinstieg will sie mit Selbstreflexion der PersonalerInnen und ganzer Unternehmensführung hin bis zu dem Überdenken des Arbeitgebermarkts zum Arbeitnehmermarkt (Teil II) auflösen. Und zwar auf Augenhöhe, die neben einem respektvollen Umgang miteinander Transparenz, Partizipation und Symmetrie der Kräfte zu pflegen weiß.
Die Notwendigkeit eines solchen Wandels begründet die Autorin zum einen mit der Alterung unserer Gesellschaft und dem Mehr-Generationen-Mix in der Arbeitswelt. Das (begrüßenswert, wenn auch noch nicht flächendeckend steigende) Bewusstsein der jüngeren Generation über ihre Ziele, Stärken wie auch Potenziale, die sie in ihrer Aufgabe verwirklichen will, ist dabei nicht immer einfach mit den Erfahrungswerten der älteren KollegInnen zu integrieren. Zum anderen sei die Technologisierung die Grundlage (und Chance zugleich) einer bewussten (Paradigmen-) Veränderung, die sich auch in der Arbeitswelt durchzieht und noch besser genutzt werden könnte. Wie? Neben der populären Initiativen wie der Dokumentarfilm „Augenhöhe“, Publikationen zu „Unternehmensdemokratie“ oder „Neuer Arbeit“ (´New Work´), nennt Brigitte Herrmann ein paar weitere Initiativen und erfolgreiche Projekte, damit auch Wege für eine wertschätzende = wertschöpfende Haltung (Teil III) als zukunftsweisend in der Welt der Personalauswahl. Es werden außerdem konkrete Handlungsempfehlungen, präventive Maßnahmen und sowohl Selbst- als auch gegenseitiger Respekt genannt, der einer kooperativen Begegnung und einer passenden Suche und Auswahl von MitarbeiterInnen dienen können. Nicht nur das, laut der Überzeugung der Autorin können diese Faktoren die intrinsische Motivation und diverse Potenziale der adäquat eingesetzten Menschen auch nach der Besetzung einer konkreten Stelle ausleben lassen. Was in den aktuellen Verfahren und Methodenauswahl nicht immer der Fall sei. Als besonders hilfreich werden hierfür u.a. Positive Psychologie, das Konzept des Charakters, der Signaturstärken oder das Humanpotentialförderndes Personalmanagement erwähnt, die durch Unternehmen integriert zu einem Mehrwert auf dem Arbeitnehmermarkt führen können.
Der Eindruck während und nach der Lektüre?
Leicht geschrieben und authentisch! Mit vielen praktischen Beispielen ausgefüllt, die das fesselnde Potenzial aufweisen und den Leserkreis mit konkreten Bildern zu den jeweiligen Arbeitsstellen und Menschen hin begleiten, bestätigt die Lektüre diverse Erfahrungen und Überzeugungen der erwähnten AdressatInnen. Ihr Mehrwert besteht dennoch darin, zum Nachdenken anzuregen, wenn man/frau die Auswahlverfahren und die Betreuung von MitarbeiterInnen nachhaltig und klug gestalten will. Dabei unter-stützend wirkt nicht nur der Einblick in die unterschiedlichen Perspektiven und den Alltag der AkteurInnen, sondern auch die dargestellte Methodenvielfalt. Die wenige Kritik an das Buch dürfte die anklingende Idealisierung von Individualisierung in der Arbeitswelt (vgl. hierzu die Forschung von Cornelia Koppetsch) als auch der Ausmaß der verwendeten Anglizismen erfahren.
Abschließend möge ein Zitat, welches auch in dem Buch verwendet worden ist, „Die Auswahl“ zusammenfassen: „Jeder ist ein Genie. Wenn Du aber einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist “ (Albert Einstein). In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre und gelungene Auswahl! Am besten per Buch7 die soziale Buchhandlung online.
„Alle Macht für niemand. Der Aufbruch der Unternehmensdemokraten“ von Andreas Zeuch
ISBN 9-783867-744751Mach(t)barkeit in Fragen Unternehmensdemokratie.
Können Sie sich eine Arbeitswelt vorstellen, in der Sie sich und anderen Menschen wahrhaftig zuhören, Ihre und deren Kreativität fördern und entlang der daraus gewonnenen Erkenntnisse diese Welt mitgestalten? Eine Welt, in der Ihre Eigenverantwortung und Selbstbestimmung auf der einen und die Corporate Social Responsibility und Mitbestimmung auf der anderen Seite den unternehmerischen wie privaten Alltag gemeinschaftlich kreieren lassen? Mit Raum für Ambiguität und Fehler, für Entwicklung und Genuss? Klingt traumhaft, oder?
Andreas Zeuch nimmt die LeserInnen seines neuen Buches "Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten" auf solch eine Reise mit und zeigt, wie manche Unternehmen diese zur Realität gemacht haben. Leicht, mit Schwung und Zuversicht liefert er Beweise dafür, wie unsere Unternehmen demokratisiert werden können und Menschen in ihrer Arbeit ihre Stärken eher ausleben und glücklich werden können, als ihnen das (kritische) Denken abgesprochen oder für übel gehalten wird. In einer anschaulichen Form schildert Zeuch zugleich, wie die Notwendigkeit der Kooperation und Verständigung begriffen und salonfähig wird, wie sie die Existenz mancher Unternehmen rettet und worauf es sich lohnt, bei Demokratisierung von Unternehmen zu achten. Ein sehr empfehlenswertes Werk für alle, die die Zukunftsvisionen unserer Arbeitswelt nicht nur beobachten, sondern auch gestalten wollen.
„Business Coaching“ von Silvia Richter-Kaupp, Gerold Brand und Volker Kalmbacher
ISBN 978-3-869336-600-5Ein Handbuch für Business Coach:innen und diejenigen, die es werden wollen.
Wie die tägliche Arbeit von Silvia Richter-Kaupp, so zeichnet sich auch ihr Buch "Business Coaching" durch Qualität, Struktur und praxisorientierte Anwendung diverser Werkzeuge aus. Ein/e erfahrene Coach findet in diesem Werk einen Impuls zur Überprüfung der eigenen Methodik und Ethik, und kann eventuell neue Wekrzeuge erlernen. Jemand, der sich gerade in die Welt des Business Coachings begibt, bekommt durch die Lektüre des Buches eine solide Vorbereitung und Stütze, die man/frau in der vielfältigen Praxis als Orientierung betrachten kann.
Die Kollegen Volker Kalmbacher und Gerold Braun bereichern das Buch um die Aspekte der Haltung und zwar in zweierlei Hinsicht: wie kann ein/e Business Coach achtsam mit sich selbst und mit den KlientInnen umgehen (Achtsamkeit), wie kann man/frau den Markt betreten und die eigenen Stärken auf die Bedürfnisse der KlientInnen so zuschneiden und anbieten, dass deren Interaktionen zur Weiterentwicklung und Bereicherung führen.
Summa summarum ein sehr empfehlenswertes Werk für Alle, denen Qualität und langfristige Entwicklung wichtig sind, zu dem man/frau mit Freude hin und wieder zurückkehrt.
„Was wirklich zählt! Leistung, Leidenschaft und Leichtigkeit für Top-Führungskräfte“ von Gudrun Happich
ISBN 978-3-658-03559-YInsbesondere vor dem Hintergrund des systemisch-konstruktivistischen Gedankenguts ein spannender Titel, der sofort vor der Frage stellt: Wer das „wirklich“ und das „zählen“ definiert und wie der Leser oder die Klientin die unterschiedlich dimensionierte Interaktion auf die eigene Wirklichkeitskonstruktion beeinflussen lässt.
Was die Protagonisten des Buches anbelangt, wird dieser Einfluss relativ schnell geklärt: Samt all den Kompetenzen, die die Autorin durch ihre Sozialisierung in einem Familienunternehmen und langjährige Führungserfahrung erworben hat, begibt sie sich auf die Reise, Menschen in Führungspositionen hin zu ihrer Zufriedenheit zu begleiten. Und überlässt ihnen dabei (überwiegend) auch die Eigenverantwortung, welchen Weg sie dahin wählen und mit welcher Methode aus der bunten Palette auswählen.
Was in an ihrer Arbeit besonders schätze ist, dass Gudrun Happich ihre Helden durch den Prozess der „Wirklichkeitskonstruktion“ geduldig und wertschätzend begleitet; dass sie ihnen viel Zuversicht und Akzeptanz für alles, was ist, schenkt. Durch diese Haltung und klare Struktur sowie Hartnäckigkeit in der Methodik unterstützt sie die Ansprache aller Intelligenzzentren, die in der nachhaltigen Etablierung von neuen Gedanken-Wegen unabdingbar sind.
Besonders spannend finde ich in dem Ratgeber die erwähnten Methodenvielfalt. Daher würde ich den Artikel u.a.wegen ihrer genauen und strukturierten Beschreibung vor allem den westlich geprägten Autodidakten unter den Führungskräften, die sich weiterentwickeln und den Business Coachen, die ihren Methodenkoffer bereichern möchten, sehr empfehlen.
Wovon ich mir weniger gewünscht hätte, wären die sich wiederholenden Beschreibungen.
„Essentials der Theorie U. Grundprinzipien und Anwendungen“ von Otto Scharmer
ISBN 978-3-8497-0274-8Heidelberg: Carl-Auer Verlag
„Unsere Denk-, Gesprächs- und Organisationsmuster erzeugen eine globale Welt sozialer Komplexität, die wir in jedem einzelnen Augenblick aktualisieren.“ (S. 50)
Diese globale Welt sozialer Komplexität steht – so Scharmer – vor grundlegenden Herausforderungen und auch Abgründen. Scharmer fragt sich und uns: "Was braucht es, um Gesellschaften so umzugestalten, dass die drängenden Herausforderungen unserer Zeit angegangen werden können?" (S. 10). Was könnten individuell, in einer Organisation und in einer globalen Gesellschaft Antworten darauf sein, die die Welt „von der höchsten Zukunftsmöglichkeit her“ (S. 13) wahrnehmen und voranbringen?
Der deutsche Autor C. Otto Scharmer ist seit 1994 am Massachusetts Institute of Technology in der Forschung und Lehre tätig und Mitbegründer des Presencing Institute in Cambridge. Das Buch vermittelt in knappen Kapiteln, was die Theorie U ausmacht, wie sie entstanden ist und was der Autor auf dem Weg zu ihrer Entwicklung sowie während ihrer Popularisierung persönlich erfahren hat.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, bei denen es zuerst darum geht, das soziale Feld zu sehen lernen (Teil I), dann eine Methode zur bewusstseinsbasierten Systemveränderung (Teil II) und abschließend ein Narrativ des evolutionären Gesellschaftswandels (Teil III) zu begreifen und zu praktizieren. Es gibt zahlreiche Beispiele aus der Praxis, Übungen und Anleitungen zu den Methoden und Entwicklungslinien, die sich sowohl auf Aktionsforschung und organisationales Lernen, Design Thinking, Achtsamkeit, Kognitionswissenschaft und Phänomenologie sowie Impulse der Zivilgesellschaft beziehen.
Die Theorie U selbst geht auf die Vorarbeiten von Rudolf Steiner und Friedrich Glasl zurück und basiert nach der Weiterentwicklung von Scharmer auf drei Kernelementen:
- einem Bezugsrahmen, der den blinden Fleck der Führung und der Systemveränderung sichtbar macht;
- einer Methode, bewusstseinsbasierte Veränderung durch einen Prozess, Prinzipien und Praktiken zu initiieren;
- einem neuen Narrativ zu einem sich entwickelnden gesellschaftliche Wandel und einer Aktualisierung unseres mentalen und institutionellen Betriebssystems in allen gesellschaftlichen Bereichen (S. 9).
Auf diese Elemente gestützt lenkt Scharmer unsere Aufmerksamkeit auf die unsichtbaren Quellen unserer (individuellen und kollektiven) Handlungsfähigkeit und lädt dazu ein, diese zu reflektieren, wertzuschätzen, aber auch zu hinterfragen und sich neu mit Unterstützung (!) weiterzuentwickeln. Diese Theorie U erfreut sich einer großen Popularität an allen denkbaren Orten der Welt.
Gleichzeitig gilt es, die kritischen Aspekte dieser Theorie zu erwähnen. Ihre Begriffe wie Grundlagen werden für durchaus spezifisch gehalten und mit dem Anlehnen auf Arbeiten von Ken Wilber, Peter Senge und andere durchaus angreifbar als viel versprechend und dennoch auf Entwicklungstheorien basierend, die einen kolonialen wie patriarchalen Hintergrund haben und wenig Veränderung im Sinne der Komplexitätstheorie gewahren. Nichtsdestotrotz lohnt es sich den eigenen Eindruck zu gewinnen und die Theorie kritisch zu hinterfragen. Dies ist zum Beispiel auf Lernplattform www.edx.org möglich, über die Scharmer die sogenannten uLabs (globale Online-Kurse) anbietet, in denen die Theorie U kostenlos vermittelt wird und Teilnehmende begleitet werden, entlang dieser Theorie praktisch konkrete Schritte durchzugehen.
Für Mediator:innen unter Ihnen ist die Theorie U zum einen interessant, weil sie „Systemdenken, Innovation und Veränderungsmanagement und zwar aus der Perspektive eines sich entwickelnden menschlichen Bewusstseins" verbindet (S. 9). Zum anderen ermöglicht sie eine Weiterentwicklung der mediativen Kompetenzen im Zuhören, Kommunizieren und Koordinieren – beispielsweise durch ihre Unterscheidung von Modalitäten des Zuhörens in das sogenannte
a) Herunterladen,
b) faktisches Zuhören
c) emphatisches Zuhören
d) schöpferisches bzw. generatives Zuhören.
"Herunterladen" und faktisch zuhören belassen wir an dieser Stelle als pejorativ betrachtet (Ad. a) oder seltener erforderlich (Ad. b) Emphatisch zuzuhören haben die meisten Mediator:innen gelernt (Öffnung des Herzens). Mit der vierten Modalität des Zuhörens kommt ein Novum hin, das deutlich „tiefer“ geht und die Öffnung des Willens erfordert: „Wir hören zu, damit die höchste Zukunftsmöglichkeit gegenwärtig werden kann, unser Zuhören bildet einen schützenden Raum, in dem etwas Neues ankünftig werden kann.“ (S. 43) Dahinter steht die Überzeugung, dass durch die Öffnung unseres Denkens, unseres Herzens und Willens eine künftige Qualität entstehen kann, die wir aus der Vergangenheit lernend nie hätten erreichen können.
Weniger erfreulich sind die Anglizismen und zahlreichen Wiederholungen. Die vielen praktischen Beispiele des Autors machen nicht nur seine große Erfahrung sichtbar, sondern werfen bisweilen auch die Frage auf, ob Anspruch und gelebte Praxis übereinstimmen: Ist die Automobilindustrie als Klient oder sind die vielen Reisen durch die Welt der eigenen Integrität zuträglich? Auch die Lehren der primären Autoren der Theorie U sind umstritten.
Zusammengefasst ist dennoch das Buch und die uLabs am MIT eine Lektüre und Arbeit, die Hoffnung schenken und unsere eigene Handlungsfähigkeit erneut sichtbar werden lassen. Der Autor lässt die Leserinnen und Leser deutlich spüren: Du und Du, Ihr alle gehört dazu. Ihr könnt aktiv sein und mit der Methode lernen, wie wie Du in Deinem Leben und Deiner Umgebung Achtung für die Natur und im Übergang vom Ego- zum Ökosystem unterstützen kannst. Ähnlich gehen die Prozesse in der uLab an die Veränderung heran. Ausprobieren und differenziert anwenden kann durchaus lehrreich sein.
„Konfliktmanagement. Strategie für Wissenschaft und Hochschule“ von Monika Klinkhammer und Neela Enke
ISBN 978-3-593-51299.0Autorinnen
Dr. Monika Klinkhammer, Dr. Neela Enke
Titel Konfliktmanagement
Strategie für Wissenschaft und Hochschule, 358 Seiten
Campus Verlag Frankfurt / New York
ISBN 978-3-593-51299.0 Print
ISBN 978-593-44552-6 E-Book (PDF)
ISBN 978-3-593-44551-9 E-Book (EPUB)
Inhalt
Die akademische Arbeitswelt ist bekanntlich sowohl vielfältig, reizvoll und vielversprechend als auch von etlichen Dilemmas geprägt, die dem gesellschaftlichen, politischen und auch Bildungsauftrag entspringen. Gerade in der Ära der Internationalisierung und Singularisierung der Gesellschaft gehört sie dementsprechend zu denjenigen Arbeitskontexten, in denen ein großes Potenzial für Kulturwandel gesehen wird. Mit ihrem Anliegen, Beschäftigte der wissenschaftlichen Institutionen hinsichtlich Konfliktbearbeitung zu sensibilisieren und zu unterstützen, greifen die Autorinnen dieses Potenzial auf und leisten hiermit einen relevanten Beitrag zum Umgang mit Konflikten in diesem Kontext.
Das Buch besteht aus sechs Kapiteln, wovon die zwei ersten einen hilfreichen Einblick in die akademische Arbeitswelt und seine Verflechtung mit den kulturellen Einflüssen, politischen Entscheidungen und Megatrends geben, während die vier weiteren konfliktbezogenen sind. Hier werden das Konfliktverständnis der Autorinnen erläutert und mögliche Umgänge mit Konflikten sowie Kommunikation in solchen vorgeschlagen. Das Verständnis von Konfliktmanagement ist in dieser Ausarbeitung implizit individuell gemeint und stellt die Selbstreflexivität der Betroffenen im Fokus. Ein detailliert analysiertes Konfliktfall aus der Beratungspraxis samt Zusatzmaterial mit weiteren Beispielen und Werkzeugen runden das Buch ab.
Umsetzung
Die Autorinnen vermitteln ihre Perspektive auf die akademische Arbeitswelt, als auch ihre Erfahrung als Coachinnen in dieser ausführlich, zugleich kurzweilig dar. Die Umsetzung des Anliegens der Autorinnen, das Thema Konfliktbearbeitung im Hochschulwesen zu enttabuisieren als auch den „Beschäftigen aller Statusgruppen Methoden und Werkzeuge zur Wahrnehmung, Diagnose und Bearbeitung von Konflikten“ anzubieten, sie somit in ihren wissenschaftlichen Karrieren zu stärken, gar einer Art Orientierung zu bieten, ist gelungen. Lebendig und praxisnah, reich an Fallbeispielen, Erläuterungen und Empfehlungen, vermittelt das Buch viele Informationen und lädt zum Nachdenken ein. Eine Lektüre, die am Hochschulwesen Interessierte wahrscheinlich immer wieder aufnehmen werden. Nicht zuletzt, um die Autorinnen mit ihrem Erfahrungsschatz im Hochschulwesen brillieren zu lassen, dann auch die vielfältigen Checklisten und Übungen auszuprobieren.
Wenn es ein Potenzial gäbe, um diese Lektüre noch stringenter und hilfreicher zu gestalten wären es die folgenden zwei Punkte:
- Strukturell bedingte Engpässe und Konflikte werden in dem Buch einerseits präzise dargelegt, ein Plädoyer für einen Kulturwandel und Erläuterung der Hochschullandschaft gehalten und dann doch die Konflikte in ihrer Bearbeitung primär als individuell bearbeitungsfähig dargestellt. Die in dem organisationellen Alltag oft anzutreffende Asymmetrie und ihr inhärentes Dilemma bleiben insofern bestehen, als strukturell bedingte „komplexe Gemengelage“ tendenziell dem Individuum überlassen werden. An dieser Stelle wünschte man/frau einen klaren Bogen zum Konfliktmanagementsystem, das systematische wie strukturelle Hilfen - wie die Autorinnen es auch befürworten - präventiv wie kurativ aufstellt und einem multikulturellen Arbeitsumfeld adäquat organisiert.
- Da der Schwerpunkt des Buches auf der Sensibilisierung und Stärkung des Individuums liegt, das mithilfe von Selbstreflexivität und analytischen Kompetenzen den vielen Konfliktpotenzialen begegnen möge, stellt sich ferner die Frage, wie der Transfer noch besser gelingen könnte. Zum einen also wie die zahlreichen und validierten Methoden ihr Potenzial bei der Anwendung in einem multikulturellen Kontext und für Menschen mit unterschiedlichen Kommunikationsstilen und Lernsystemen noch besser entfalten könnten. Zum anderen, wie mediative Verfahren und ein etabliertes Konfliktmanagementsystem die strukturellen Konflikte besser auffangen ließe, den es ein Individuum - wie die Autorinnen im ersten Teil des Buches auch erläutern - je kann.
Praxiswert
Um sich in dem Buch mit Freude nach Fallbeispielen, Werkzeugen und Erläuterungen mancher politischen und strukturellen Entwicklung im deutschen Hochschulwesen umzuschauen und diese zu erschließen, braucht man/frau keine besonderen Vorkenntnisse. Gerade für die Nachwuchswissenschaftler:innen, die keine Sozialisierung in der Akademia haben, liefert das Buch einen bereichernden und klärenden Über- und Tiefblick in diese. Mit einer Prise Nüchternheit und ohne die zugehörige Arbeitswelt zu beschönigen, werden etliche Hilfestellung für die Karriere in der Wissenschaft phasenorientiert thematisiert und entlang von dazugehörigen Konfliktpotenzialen abgearbeitet. Mediator:innen und Coach:innen könnten dem ersten Teil des Buches den Einblick in die akademische Arbeitswelt und die letzten auch in die Konfliktbearbeitung abgewinnen, wollen sie sich in diesem engagieren.
Wissenschaft - Praxis: das Buch ist für die wissenschaftliche Arbeitswelt geschrieben und gut mit Ressourcen wie Quellen ausgestattet. Wenn auch nicht sehr wissenschaftlich dargelegt, wie wir dies in den wissenschaftlichen Arbeiten handhaben.
International zertifizierte Mediatorin | Mediationstrainerin und -Supervisorin DACH & Executive und Business (Team) Coachin (ICF PCC & Senior Pracitioner EMCC)| Bio-Diversität & Climate Coachin
„Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ von Svenja Flaßpöhler
ISBN 978-3-608-11663-2Das hier zu besprechende Buch wurde vor 2021 veröffentlicht und hat den damaligen Stand der sogenannten Ära der Sensibilitäten aus der philosophischen und soziologischen Perspektive dargelegt. Seither durfte diese Ära „gefühlt“ bereits weitere Dimensionen erreicht haben, die in verschiedenen privaten, beruflichen oder anderen sozialen Situationen ihre Wirkung entfalten. Dazu gehören sicherlich auch Mediationsprozesse, in denen sowohl Konflikte als auch deren Auslöser mitunter entlang von Unterschieden fokussiert und bearbeitet werden. Welche Unterschiede haben aktuell und vielleicht auch verstärkt das Potenzial, zu Konflikten zu führen, lässt sich sicherlich sowohl in dem eigenen (Mediations-) Alltag gut erkennen als auch in dem Buch von Svenja Flaßpöhler systematisch erarbeitet wiederfinden. Neue Themen tauchen auf, die auf bisher wenig beachtete Sensibilitäten zurückzuführen sind, beispielsweise in interreligiösen, intersektionalen oder internationalen Gruppen, bis hin zu Streitfragen betreffend Sorgerechte für Tiere bei sich trennenden Paaren. Aus der Perspektive der Autorin, einer deutsche Philosophin und Journalistin sowie Chefredakteurin von Philosophie Magazin, gilt es, diese Ära durchaus kritisch zu betrachten, nicht zuletzt um einen reflektierten Umgang hiermit zu praktizieren.
Inhalt
Das Buch umfasst zehn Kapitel, in denen sich die Autorin nach einer historischen Verortung der Thematik mit ihren diversen epochalen und substantiellen Charakteristika befasst. Die folgenden Kapitel bieten einen Überblick zu den Ideen und unterschiedlichen Perspektiven hinsichtlich der in der westlich beziehungsweise nördlichen Hemisphäre des Globus diskutierten Sensibilitäten, die es sich lohnt, namentlich zu benennen.
Im ersten Kapitel zum „Prozess der Sensibilisierung“ wird deutlich, welche Hintergründe, Nuancen und Potenziale die sogenannte Sensibilisierung als ein Aspekt des Zivilisationsprozesses mit sich bringt, und genauso wohin ihre Übertreibung führen kann beziehungsweise führt: „Die Sensibilisierung der Gesellschaft ist, unbestreitbar, ein wesentlicher Faktor zivilisatorischen Fortschritts. Plurale, hochkomplexe, ausdifferenzierte Gesellschaften sind, auch aufgrund ihrer räumlichen Verdichtung, fundamental angewiesen auf Individuen, die eigene wie fremde Belange sensibel wahrzunehmen vermögen. Doch erleben wir gerade, wie just diese konstruktive Kraft der Sensibilität in Destruktivität umzuschlagen droht: Anstatt zu verbinden, trennt uns die Empfindlichkeit. Sie zersplittert Gesellschaften in Gruppen, wird gar zur Waffe, und zwar auf beiden Seiten der Frontlinie.“
Nachdem die Leser:innen zunächst auf eine historische Reise mit zwei männlichen Protagonisten eingeladen wurden, um den Sensibilisierungprozess besser nachvollziehen zu können, werden sie im darauf folgenden Kapitel mit der Überschrift „Kraft der Wunde“ zur Einschätzung der eigenen Feinfühligkeit mithilfe eines Tests eingeladen. Die dargestellten Grade der Feinfühligkeit wie ihre Auswahl lehnt die Autorin unter anderem an die Arbeiten von Friedrich Nitzsche und Emmanuel Levinas an, die sie auch einander gegenüberstellt - eine interessante Fügung, bedenkt man/frau die Provenienz und Biographien beider Philosophen.
Das darauf anschließende Kapitel „Jahrhundert der Empathie“ führt die Leser:innen an die hellen wie dunklen Seiten der Empathie heran. samt der Unterscheidung zwischen dem Einfühlungsvermögen einerseits und der sozialen Ansteckung andererseits, sowie der Verwertbarkeit dieser in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Vom Kapitel „Die Gewalt in uns“ gefolgt, beinahe emphatisch erfahren wir, wie der Wert des Lebens und seine Endlichkeit in einer epochalen Betrachtung gesetzt und von dem Schmerzen als Konstanzprinzip des Lebens flankiert wird. Es gelingt der Autorin, diese Betrachtung mit vielen möglichen antizipierten und verkannten Auswirkungen darzulegen, die in einer interessanten Korrelation mit „Trauma und Trigger“ gesehen werden können. Diese werden in dem nachfolgenden Kapitel geschichtlich erläutert und vertieft.
Weitere zwei Kapitel: zur „Sprachsensibilität“ und zu den „Grenzen der Einfühlung“ sind auch für Mediator:innen von großer Tragweite. Nicht zuletzt weil wir mit Sprache und Einfühlung „arbeiten“ und über diese die Menschen erreichen, vermitteln, ihnen begegnen oder vergegnen können. Spannend sind insbesondere die Perspektiven einer durch und durch individualisierten, stellenweise singulären Gesellschaft und wie sich diese zu den Grenzen und Möglichkeiten der subjektiven Einfühlung verhalten, wo sie wiederum - wie bei den hochsensiblen Menschen - zu einer gefühlten Verschmelzung mit dem Gegenüber führen. Ob verbal, para- oder extraverbal subsumiert, könnte man/frau einer Art bi- oder multilinguale Mediation als Metapher auch dafür bemühen, wie wir von nun an mit diversen -ismen und deren Resonanz auf die Konfliktparteien arbeiten. Von Svenja Flaßpöhler erfahren wir insbesondere, welche Argumente der Bemühung um sprachliche Inklusion entgegengebracht werden und wie Verletztheit individuell selbstreguliert, ja auszutragen wäre.
Die Erläuterungen der Hochsensibilität finden die Leser:innen in dem Kapitel „Gesellschaft der Sensibilitäten“ und zwar in den Kontext der Singularitäten und Valorisierungsprozesse gesetzt und mit den Steigerungsdynamiken der heutigen Welt verwoben. Das vorletzte Kapitel rundet den Exkurs in die unterschiedlichen Perspektiven und zwar mit dem Blick auf die modernen und durch die Pandemie verstärkten „Abstandsregel“ ab (wie das vorletzte Kapitel auch heißt) in der nördlichen Hemisphäre die Sensibilitätsnarrative befeuern.
Das „(j)e gleichberechtigter Gesellschaften sind, desto sensibilisierter werden sie für noch bestehende Ungerechtigkeiten und damit verbundene Verletzungen“ ist spätestens seit dem Buch von Aladin El-Mafaalani „Das Integrationsparadoxon“ allgemein bekannt.
Empfehlung / Praxiswert
Das Buch bringt viele interessanten Aspekte der Entwicklung im Sensibilisierungsdiskurs in einem bestimmten geographischen und zeitlichen Kontext. Der Autorin gelang es sicherlich, das so aktuelle Thema gut zu positionieren, mit dem Buch Diskussionen und Klärung anzuregen.
Nicht nur lernen Leser:innen die aktive von passiver Sensibilität sowie deren leibliche, psychische, ethische und ästhetische Dimensionen zu unterscheiden, um diese dann in Beziehung zur Resilienz wie Immunität setzen zu können. Vielmehr werden sie dazu eingeladen, die Nuancen wie Echtheit der Sensibilität zu erforschen und die eigene Wahrnehmungsschärfe auf ihre Gefahren hin zu überprüfen. Für Coach:innen und Mediator:innen ist dieses Werk daher besonders empfehlenswert. Um sich daran zu üben, zu reiben, eigene Sensibilitäten oder doch die „dicke Haut“ zu erkennen. Wie sensibel sind und reagieren wir auf die Empfindungen, Belange, Interessen der Mitmenschen, Klient:innen oder Konfliktparteien? Für die mediative oder coachende Profession ist die Sensibilität ein großer Gut. Zugleich tragen wir die Verantwortung, zu verstehen, was unsere Klient:innen bewegt und was uns als Menschen in der heutigen Ära prägt. Zudem sind Mediator:innen vielerorts dafür und über Dekaden hinweg zunehmend ermutigt, mehr Raum dem Gefühl zu gewähren.
Aktuell erleben wir eine Entwicklung der Bewegung hin zu Sensibilität, die stellenweise überrascht. Wir sind aufgefordert, jegliche monokausalen Erläuterungen dieser „Wucht“ stringent abzulehnen und wo möglich, über die Grenzen des deutschsprachigen Raums hinauszuschauen. Dort entdeckt man/frau manche Nuancen der Entwicklung, die für den hiesigen Diskurs interessant sein können.
Im weiteren bringt das Buch den Mehrwert einer systematischen Bearbeitung des Themas und somit einer Einladung zu kritischen Auseinandersetzung mit seinen unterschiedlichen Nuancen. Wie allgemein bekannt, hängt unser „Fenster der Toleranz“ (Daniel J. Siegel, Mindsight) mitunter davon ab, welche Gedanken und folgend auch Emotionen wir bearbeitet und in unser Bewusstsein geholt haben.
Kritik
In etwa verlorenes Potenzial des Buches liegt an so manchen Tendenzen, wonach- ganz im Sinne von Svenja Flaßpöhler - der Erzählung die Perspektive der Sicht einer weißen privilegierten Frau zugeschrieben werden könnte. Auch wenn die Autorin darum sichtbar bemüht ist, eine Vielfalt von Stimmen in den Streitgesprächen willkommen zu heißen, scheinen diese auf die Nordsphäre des Globus reduziert (vgl. Peter Adamson History of Philosophy "without any gaps") und der gesamte Umriss der Thematik eher dialektisch als entlang von Komplexität, Multikausalität und Vielfalt skizziert zu sein.
Es obliegt dem Leser, der Leserin, sich in dieser auszurichten und immer wieder auf’s Neue einen momentanen Stabilitätspunkt zum Beispiel auf dem Kontinuum zwischen Resilienz und Sensibilität zu finden.
Zudem bleibt der interdisziplinäre Blickwinkel (bis auf die soziologischen Zeitdiagnosen) weitgehend aus. Ein breiterer interdsiziplinärer Zugang und Austausch zur Sensibilität selbst, aber auch zur Sprache, struktureller Diskriminierung und derer Auswirkung, Trauma und kultureller Beeinflussung, wäre sehr interessant, und vielleicht gar mitfühlend für so manche der Protagonist:innen des Buches, wenngleich dies kein a’priori Ziel des Werkes gewesen ist. Neurowissenschaftliche, biologische, kommunikationstheoretische und epigenetische Blickwinkel bleiben folglich aussen vor.